Rezension zur »Seelentrinkerin I«

In den ANDROMEDA NACHRICHTEN 235 des Science Fiction Club Deutschland e.V. (SFCD) erscheint eine Rezension zu »BRECHENDE SEELEN« (Seelentrinkerin I, AndroSF 9) von Jürgen Thomann, die wir hier nachbilden möchten. (Die ANDROMEDA NACHRICHTEN 235 sind das Programmheft des BuchmesseCon 2011 und sind ansonsten zu beziehen beim Archivar des SFCD, Andreas Kuschke.)

Michael Haitel (Hrsg.)
BRECHENDE SEELEN – DIE SEELENTRINKERIN 1
p.machinery, Andro SF 9, Taschenbuch, 2011, Titelbild von Jumpfish, ISBN 978-3-942533-16-4, 226 Seiten

Michael Haitel ist ja die letzte Zeit sehr rührig gewesen mit seinem Verlag p.machinery. Nun erschienen gleich drei Anthologien zum gleichen Thema – »Die Seelentrinkerin«. Ausgehend von einem Bild haben diverse Autorinnen und Autoren ihre Interpretation geschrieben. Das Bild ist auch wirklich inspirierend; man sieht eine junge Frau mit seltsamen Augen, schwarz unterlaufen, die sich eine Art Flacon zu Munde führt und eine Art Essenz daraus saugt. Ein Junkie? Eine Göttin? Die sechs Autoren dieses ersten Bandes haben recht unterschiedliche Geschichten daraus gemacht – auch in der Länge der Texte; sie reichen von vier Seiten bis hin zu neunzig.
Bevor ich auf die einzelnen Geschichten eingehe, noch ein Wort zur Verlagspolitik, die Texte in drei Bänden zu präsentieren. Ich habe mir nur den ersten geleistet, weil ich die Geschichte von Matthias Falke lesen wollte; die anderen Autoren sagten mir nichts. Alle drei wären mir aber zu teuer geworden. Hätte ich zugegriffen, wenn ein Band mit über 600 Seiten vorgelegen hätte, entsprechend teurer? Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte man die Anzahl der Texte zusammenkürzen sollen. Die Qualität der Geschichten in diesem ersten Band ist jedenfalls sehr unterschiedlich.
Den Anfang macht Matthias Falke mit »Der Jahrmarkt am Ende der Zeit«. Ich hatte mich gefreut, eine neue Story vom DSFP-Preisträger zu lesen. Geboten bekommen habe ich eine Geschichte ohne rechte Handlung mit einigen starken Bildern, insgesamt aber in meinen Augen gescheitert, weil doch mehr Langeweile aufkam als Interesse. Falke fasste das Bild ziemlich frei auf, indem er jene Frau als Charis den Titelhelden in die Unterwelt begleiten lässt. Der titelgebende Jahrmarkt taucht übrigens erst ganz zu Ende auf.
Was folgt ist noch ein Schritt nach unten. In »Der Seelenkasten« von Carmen Matthes geht es um einen Massenmörder, der das Fleisch seiner Opfer isst und die Essenz ihrer Seelen einer Außerirdischen zur Nutzung überlässt. Das ist dann auch der einzige SF-Bezug; ansonsten liegt eine Horrorgeschichte vor. Die Geschichte wurde auf die Effekte hin geschrieben, ohne recht zu überzeugen.
Lucie Moenikes schildert in »Die Seelentrinkerin« das Schicksal zweier junger Mädchen, die sich in die Ausbildung zum Seelentrinker begeben. Diese Geschichte hat mir dann schon besser gefallen, weiß sie doch das Interesse zu wecken. Nach und nach wird beschrieben, wie sie bei verschiedenen Lehrern in die Schule gehen, um dann ihren ersten Fall zu haben. Doch nicht alles geht glatt.
Die beste Geschichte dieser Anthologie ist »Der Kristall« von Arndt Waßmann. Eine junge Frau befindet sich auf ihrer vermeintlich letzten Mission. Angeworben von einem zwielichtigen Auftraggeber soll sie einen blauen Kristall finden. Mit dem Lohn ihrer Anstrengungen will sie sich ein weiteres Mal einer Behandlung unterziehen, sich von einer totbringenden Krankheit zu heilen. Es gelingt ihr dann tatsächlich, jenen Kristall zu finden, aber das bewirkt eine unheilvolle Entwicklung. Eine gute SF-Geschichte, die durch ihre Charakterisierungen überzeugen kann.
»Feenglas« von Corinna Griesbach ist dann nur eine Vignette. Stilistisch interessant.
Sehr gefallen hat mir auch die längste Geschichte des Bandes. »Brechende Seelen« von Verena Freiwald. Geschildert wird das Schicksal eines menschlichen Roboterwesens. Jedenfalls kann man sie so bezeichnen. Die Seele der Probandin wurde vermeintlich gelöscht, um einen willigen Befehlsempfänger zu haben, der alles tut, was man ihm sagt. Doch die Wissenschaftler haben sich getäuscht; im Innersten lebt die ursprüngliche Person noch weiter und sie sucht, wieder an die Oberfläche zu kommen. Ausgestattet mit der Fähigkeit, in die Menschen schauen zu können und ihre geheimsten Obsessionen zu erkennen, beginnt sie ihr Umfeld zu manipulieren und von jeder brechenden Seele zu profitieren. Interessant wird die Story auch dadurch, dass sie eigentlich keine positiv besetzten Charaktere aufweist. Jeder in der Geschichte hat seine dunklen Seiten und unsere Protagonistin mordet sich auf ihrem Weg zur Selbstfindung munter durch.
Insgesamt kann ich diese Anthologie als gelungen bezeichnen, mit den Abstrichen, dass sie am Anfang doch etwas dröge daherkommt.
(Jürgen Thomann)

In einer Anmerkung der Chefredaktion wird darauf hingewiesen werden, daß in den Projektanforderungen von SF-Storys mit Horrorelementen bzw. Horrorstorys mit SF-Elementen die Rede war.