Herbert W. Franke
TRANSPLUTO
Science-Fiction-Roman
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke, Band 16
hrsg. von Ulrich Blode und Hans Esselborn
AndroSF 82
p.machinery, Winnert, September 2022, 210 Seiten
Paperback: ISBN 978 3 95765 282 9 – EUR 16,90 (DE)
Hardcover: ISBN 978 3 95765 283 6 – EUR 26,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 818 0 – EUR 4,99 (DE)
Ein Raumschiff, unterwegs zu fernen Welten, über den Pluto, das Sonnensystem hinaus. Eine kleine Welt für sich mit einer kühnen Besatzung, die es wagt, den interstellaren Abgrund zu bezwingen. Vergnügungsreise oder ernste wissenschaftliche Expedition? Gibt es an Bord des Schiffes noch offene Horizonte im Gegensatz zu den verwalteten Planetenwelten? Oder werden auch die Astronauten manipuliert?
Merkwürdigen Phänomenen sehen sich die Männer und Frauen des Schiffes im All gegenüber, Erscheinungen, die der klassischen wie der Einsteinschen Physik Hohn zu sprechen scheinen. Gibt es draußen in der Leere, wo nichts sein sollte, etwa auch Planeten? Sogar solche mit irdischem Abfall?
Verwirrender und verwickelter noch als früher baut der Autor dieses gedankliche Vexierspiel auf, virtuos spielt er mit Illusionen und der Realität und spart dabei auch mystische Erfahrungen nicht aus. Spielerisch stellt Franke die fiktionale Realität in Zweifel und setzt andere an ihre Stelle, in einem Verfahren, das nahezu surrealistisch zu nennen ist, aber dennoch die Naturwissenschaft nicht preisgibt.
»Franke bietet nicht nur Utopie, sondern vor allem kritisches Betrachten, Aufzeigen von Auswüchsen, Warnung vor Missbrauch.« (Wiener Zeitung)
Auch Carsten Kuhr hat sich nicht lange bitten lassen, und den Roman auf phantastiknews.de besprochen. Genau hier:
https://www.phantastiknews.de/index.php/rezensionen/24455-herbert-w-franke-transpluto-buch
—
Von 1972 bis 1979 fungierte Herbert W. Franke zusammen mit Wolfgang Jeschke als Herausgeber der Heyne SF & Fantasy. In diesem Zusammenhang fiel mir sein Name das erste Mal auf, später kaufte ich dann die von Ihm für Heyne zusammengestellten Science Fiction Story Reader innerhalb der SF Reihe von Heyne.
Seine phantastischen Werke erschienen in den 60er Jahren bei Goldmann, später dann überwiegend bei Suhrkamp.
Anders, als bei seinen Kollegen Wolfgang Jeschke und Rainer Erler, von denen bei Shayol Werkseditionen aufgelegt wurden, schien nach seinem Rückzug zunächst eine Neuauflage seiner in aller Regel vergriffenen Werke nicht vorgesehen zu sein.
Michael Haitel, umtriebiger Herausgeber bei p.machinery, schuf Abhilfe und legte seit 2014 in seinem Verlag eine von Ulrich Blode und Hans Esselborn editierte SF-Werksausgabe vor, deren Bände 16 und 17 von 31 just erschienen sind. Die Bücher gibt es sowohl in einer Taschenbuchausgabe, als auch als hochwertige, limitierte Hardcover.
Vorliegend geht es um einen durchaus spannenden Plot.
Wir befinden uns Mitte des 21. Jahrhunderts. Zusammen mit unserem Erzähler finden wir uns, mit zum Teil massiven Gedächtnislücken, auf einem Touristenschiff, das seinen Passagieren die äußeren Planeten erschließen soll, wieder. Die Touristen – handverlesen, nur ja Niemand, der Ansprüche stellt oder schwierig werden könnte -, werden mittels Drogen ruhig gestellt, alles läuft weitgehend automatisiert ab.
An Bord sind aber auch eine Gruppe Menschen, die nicht einfach ausspannen möchten, die ein Ziel verfolgen.
Vor einigen Jahren waren die Meisten von Ihnen Besatzungsmitglieder der ersten Interstellaren Expedition nach Alpha Centauri. Damals unternahm Curt Longson zusammen mit einer Kollegin eine Expedition auf dem fremden Planeten, von der er alleine zurückkehrte.
Was geschah damals, welche Erkenntnisse konnte die Expedition damals mitbringen, Fragen, die die vier Menschen, die sich am Bord geschlichen haben und nun das Beiboot des Touristenraumers entwenden, klären wollen.
Schon beim Anflug aber kommt es zu wissenschaftlichen Anomalien. Räumliche Distanzen, die Zeit selbst stimmen nicht länger, selbst die Gravitation scheint keine absolute Konstante zu sein. Mit ihren Forschungsmethoden stoßen sie schnell an ihre Grenzen – was ist Realität, was nur Imagination in ihren Köpfen, oder doch nur eine andere Wirklichkeit, als gewohnt?
Der Verfasser beschäftigt sich hier, verklärt in einer spannenden Handlung mit der Frage, wie wissenschaftliche Forschung mit Tatsachen umgeht, die nicht ins vorgefertigte Bild passen. Dabei rückt das Abenteuer mit zunehmender Dauer in den Hintergrund, beschäftigt Franke sich mit den Auswirkungen der Phänomene auf seine Charaktere.
Letztendlich ist dies ein Roman, der vordergründig eine durchaus interessante Geschichte erzählt, der sich dann aber immer mehr mit der Frage beschäftigt, was Forschung ist, sein soll, und wie mit ungewöhnlichen Forschungsergebnissen umgegangen wird.
Die Besprechung von Thomas Harbach auf Robots & Dragons:
—
Als 16. Band der Herbert W. Franke Werksausgabe erscheint „Transpluto“, ursprünglich 1982 mit einem Michael Weisser Titelbild und nicht den klassischen Thomas Franke Zeichnungen versehen im Suhrkamp Verlag erschienen.
„Transpluto“ ist ein kurioser Roman, eine Art Übergangswerk zwischen den dystopischen Arbeiten Frankes und einer Rückkehr zu den eher klassischen, aber nicht simplen Abenteuer Science Fiction Stoffen. „Transpluto“ stellt auch Frankes Interpretation von Algis Budrys „Projekt Luna“ dar.
Der Roman beginnt mit einem Fahndungsaufruf. Drei Männer haben ein Raumschiff gestohlen und befinden sich für die Behörden auf der Flucht. Der Leser wird erst ab der Mitte des Buches die Motive der Entführer erfahren und erkennen, warum die Behörden in mehrfacher Hinsicht eine deutlich innigere „Beziehung“ zu mindestens einem der drei Protagonisten haben. Der Aufruf an die Öffentlichkeit dient als klassisches Spannungselement, ist allerdings auch überzogen und unnötig. Die Behörden müssten die Absichten der Entführer kennen.
Die erste Hälfte des Buches – das ist auch wörtlich zu nehmen – spielt auf einem gigantischen Raumkreuzfahrtschiff, das seine Passagiere in die Regionen in der Nähe und jenseits des Plutos bringen soll. Der Protagonist Curt kann sich nicht erinnern, wie er an Bord des Raumschiffs gekommen ist. Der Tagesablauf ist höflich gesprochen geordnet. Vom Aufwachen – in der Nacht werden die Passagiere mittels eines Gases betäubt – über den stringenten Essenplan bis zu den genau taxierten Beobachtungszeiten.
Sowohl die Leser als auch Curt sind sich nicht sicher, ob diese Reise wirklich stattfindet. Auf der einen Seite wird immer wieder betont, dass dieses Regiment ist, damit die Passagiere die erdrückende Einsamkeit des Alls überhaupt in Ansätzen ertragen können. Auf der anderen Seite fühlt sich der Leser an die in den sechziger Jahren aus Herbert W. Frankes Feder veröffentlichten dystopischen Werke erinnert, in denen diktatorische und autoritäre meistens gesichtslosen Regierungen die Menschen unterdrückt und virtuellen Welten gefangen gehalten haben. Nur der obligatorische Außenseiter konnte diese perfekten „Elfenbeinkäfige“ durchdringen.
Keinen Leser würde es überraschen, wenn diese Kreuzfahrt nur eine Illusion wäre. Die Menschen in ihren Schlafzellen gefangen gehalten, den Geist auf eine Reise der Phantasie geschenkt. Je nach Perspektive des Betrachters zum Wohle des Individuums und damit auch der Gemeinschaft oder als Mittel zum Zweck, um die Kontrolle über die aggressiven Menschen zu behalten.
Aber in der Mitte des Romans dreht Hebert W. Franke den Plot. Die Reise findet tatsächlich statt. Curt ist auch nicht zufällig an Bord. Es ist auch nicht die erste Reise des Protagonisten, sondern wie sich herausstellt, seine dritte Expedition in die Region jenseits des Plutos. An Bord sind weitere Mitglieder der ersten Expedition.
Herbert W. Franke unterbricht die klassische Handlungsführung und lässt sich jeden Einzelnen der Protagonisten vorstellen. Das wirkt sperrig. Die Entwicklung von überzeugenden Charakteren ist eine der Schwächen in Herbert W. Frankes umfangreichem Werk. In seinen klassischen Dystopien kann er diesen Makel durch einen distanzierten, Emotionen nicht zulassenden Hintergrund ausgleichen. In diesem Buch ist die zwischenmenschliche Basis wichtig.
Die einzelnen Vorstellungen der Protagonisten entsprechen teilweise den Klischees. Der rücksichtslose Berichterstatter, der seine beiden in der Rangfolge vor ihm stehenden Konkurrenten ausschaltet bzw. zum Rücktritt überredet. Der Techniker, der alles reparieren kann, dem aber auch die Wichtigkeit der Mission egal ist. Der fast schon obligatorische Psychopath, der zwar keine Bomben zündet, aber unter Verlustängsten leidet. Und das Team ergänzend Curt, dessen Gedächtnis erst nach und nach wiederkehrt. Hinzu kommt mit der Schwester eines Teammitglieds der ersten Expedition eine Art tragisches radikales Element. Sie will das Schicksal ihrer Schwester erkunden, die „dort draußen“ zurückgeblieben ist.
Die zweite Hälfte des Buches ist deutlich an Algis Budrys angelehnt. Die Astronauten werden herausgefordert. Sie treffen schon bei der ersten Expedition auf einen kleinen Planetoiden, der verschiedene herausfordernde Geheimnisse beinhaltet. Es kann sich um eine außerirdische Intelligenz handeln, die weniger wie in „Strugatzkis „Picknick am Wegesrand“, sondern wie in dem mehrfach angesprochenen „Projekt Luna“ etwas zurückgelassen hat. Ob es sich dabei um einen Testballon für die ins All strebenden Menschen handelt oder das Projekt eine ganz andere Bedeutung hat, bleibt offen. Auch die Idee, das Menschen hier herausgefordert werden sollen, wird nur bedingt angesprochen. Die Idee der Bombe, um potentielle Gefahren von den ideologisch verblendeten Mächtigen der Erde abzuhalten, ist nicht neu. Im Gegensatz zu anderen Autoren fügt Herbert W. Franke sie emotionslos und distanziert, fast verachtend nebensächlich seinem in dieser Phase des Buches auseinander driftenden Plot hinzu.
Die größte Schwäche ist weniger das offene Ende, in dem sich die beiden Parteien individuell für andere Wege entscheiden, sondern der Weg dahin. Der weiße Schaumstoff als Oberfläche des Planetoiden ist nicht nur akzeptabel, sondern auch originell. Das Eindringen in den Planetoiden wird erstaunlich distanziert beschrieben. Wie Frankes Charakteren die Emotionalität fehlt, verzichtet der Autor in diesen Passagen auf den Sense of Wonder. Im Inneren könnten die Astronauten auf eine Art Raum-Zeit-Tor gestoßen sein, dessen Bedeutung aber nicht erläutert wird. Indirekt macht der Österreicher zwar deutlich, dass es eine „Verbindung“ zwischen dem künstlichen (?) Körper im All und der Erde geben muss, aber auch diese Idee baut Herbert W. Franke nicht aus. Er nutzt sie, um einen Protagonisten wie bei der obligatorischen Ratte in einem von Forschern aufgebauten Labyrinth wieder auf den Startpunkt zu setzen und ihrer erneuten Reise nach draußen zu folgen, aber anschließend wird diese Idee nicht weiter diskutiert. Die Protagonisten nehmen sie als gegeben hin.
Diese pragmatische Haltung durchzieht den Roman. Die erste Hälfte mit dem desorientierten Curt an Bord des seltsamen Kreuzfahrtschiffs ist deutlich interessanter als der kosmisch philosophische zweite Teil. Wer mit Herbert W. Frankes Werk vertraut ist, erwartet spätestens durch die Begegnung zwischen Curt und Frederik eine Wende. Die eigentliche Entführung eines relevanten Beiboots geht anschließend zu problemlos vonstatten und widerspricht der fast perfekten Überwachung der Passagiere. Dieser kleine isolierte Überwachungsstaat mit dem Opium für eine noch kleinere, anscheinend reiche und bis zum Erdrücken behütete Elite ist eines der markanten Themen, das Herbert W. Franke vor allem in seiner ersten Zeit als Schriftsteller gerne und immer wieder genommen sowie variiert hat.
Im Weltall bzw. auf dem Schaumstoffasteroiden fehlt dem Österreicher ein wenig die Entschlossenheit, den Plot wirklich zu Ende zu bringen. Auch Algis Budrys hat auf Antworten verzichtet, aber der Leser fühlt sich dem durch das tödliche Labyrinth hetzenden Astronauten verbunden. Die paranoide Atmosphäre, die allgegenwärtige Bedrohung und die Idee, das Außerirdische wirklich eine Rattenfalle hinterlassen haben, machten zufriedenstellende Antworten überflüssig.
Herbert W. Franke versucht gar nicht erst, Antworten zu generieren. Die Suche nach der in dem Asteroiden verschwundenen und vielleicht durch ein Dimensionstor gegangenen Verena soll eher ein roter Faden sein, den der Autor aber abschließend im eigentlichen Moment der Entscheidung „frei“ gibt. Im Grunde versuchen drei der vier Raumschiffentführer nur vordergründig die letzten offenen Fragen zu beantworten. Sie erkennen im Gegensatz zum Leser nicht, dass es keine Antworten gibt oder geben kann. Fatalistisch entscheiden sie sich für andere, sie im Gegensatz zum Leser vielleicht irgendwann intellektuell befriedigende Wege.
„Transpluto“ ist wie angesprochen ein seltsamer Zwitter aus dem Herbert W. Franke der sechziger Jahre und dem kalendarisch post „2001“ Franke, der nach außen schaut, die Wunder des Weltalls in eine First Contact Geschichte packt, aber nicht entschlossen genug ist, den Text wirklich intellektuell zu beenden. Herbert W. Franke scheint den Faden verloren zu haben. Die von ihm aufgeworfene Prämisse – alleine die letzten dreißig Seiten sind ein Quell von nicht ausgeschöpften Ideen – hätte den Umfang des Buches beträchtlich erweitert. Davor schreckte der Österreicher anscheinend zurück und beendete das Buch auf eine sehr offene Art und Weise. Die Phantasie der Leser in der Theorie stimulierend, aber über die vorangegangenen fast zweihundert Seiten hat Herbert W. Franke mit seiner anfänglich zu geordneten Welt, den langen emotionslos erzählten Rückblicken und schließlich den seltsamen Phänomenen auf dem Schaumstoff Planetoiden – aus heutiger Sicht ein fast klischeehaftes Bild der siebziger/ achtziger Jahre – dem Leser dieses phantasievolle Chaos entzogen.