Schon vor geraumer Zeit hat Marianne Labisch sich das Buch »La Triviata« von Dirk C. Fleck vorgeknöpft, das in unserem Verlag erschienen ist – schon vor fast zwei Jahren, im November 2018. Das Buch ist immer noch aktuell, es wird immer noch gekauft – das liegt letztlich auch Dirk Flecks Namen, seinem Ruf, seiner Präsenz im Internet, die er zurückgefahren hat, die aber immer wieder aufflackert, vor allem in Videos bei Youtube (seine Hambürger Gespräche) und auf KenFM und ähnlichen Websites, die gerne in politisch unattraktive Ecken einsortiert werden.
Hier geht es um Mariannes außergewöhnliche Buchbesprechung, die auch nach der geraumen Weile seit ihrer Verfassung ebenso wenig an Aktualität und Bedeutung verloren hat, wie das Buch, um das es geht:
Marianne Labisch
(K)eine Buchbesprechung im herkömmlichen Sinne
Ein außergewöhnliches Buch verdient eine ebenso außergewöhnliche Besprechung. Eine, die vom klassischen Muster ebenso abweicht, wie der »Roman«, um den es geht. Denn ich werde hier die sonst sorgfältig bemühte Objektivität über Bord schmeißen und mich rein subjektiv zu diesem Buch äußern. Wahrscheinlich bin ich von falschen Voraussetzungen ausgegangen, denn ich erwartete einen Roman. »Palmers Krieg« hatte mir sehr gut gefallen und ich hoffte auf eine ähnliche gute Unterhaltung. Und als im Vorwort »Der Duft der Achtziger« angekündigt wurde, war ich bereit, die Zeitreise anzutreten.
Die erste Notiz »Kopf-los« gefiel mir gleich ausgezeichnet, denn es ging um eine Absage, die man dem Autor erteilt hatte. Das ist leider ein Schicksal, das alle Autoren, bis auf wenige Ausnahmen, teilen. Als Autorin fühlte ich mich ihm sofort verbunden. Dadurch, dass die Absage keine Standardabsage à la: »… hat nichts mit ihrem Stil oder dem Stoff zu tun … schreiben Sie bitte unbedingt weiter …« war, hatte der Autor mich gleich am Haken. Ich konnte nicht fassen, dass sich ein renommierter Journalist gefallen lassen musste, als irgendein Hobbyschreiber betitelt zu werden.
Danach kam eine Schlagzeile aus einem großen deutschen Boulevardblatt und ich fragte mich, wo der Roman abgeblieben war.
Dennoch las ich weiter und fragte mich, wohin das wohl führen würde. Ich konnte mit dem Autor fühlen, als er über seine Rauchentwöhnung sprach, ich las die Texte, weil sie mich irgendwie ansprachen, obwohl sie keinen Zusammenhang zu haben schienen.
Unterschiedlich lang sind die Texte, manche bestehen nur aus ein, zwei Sätzen, andere sind etwas länger.
Einige könnten Beobachtungen sein, andere die ureigenste Meinung des Autors, wieder andere wirken wie notierte Träume, einige muten an wie Zitate, denen die Quellangabe fehlt, daneben gibt es auch echte Zitate. Manche Texte erinnern an Tagebucheinträge, andere könnten Notizen sein, aus denen sich ein Stoff für eine Geschichte, einen Roman entwickeln könnte.
Dann gibt es zum Beispiel solche Gedanken:
»19
Ein kleiner Mann mit eingefallenen Wangen, müden Augen und einer kalten Zigarre im Mund hängt an Arm einer stämmigen, fleischigen Frau. Im Vorübergehen höre ich sie beschwörend sagen: »Versetz dich doch mal in meine Lage …!« Warum rührt mich das?«
Mit dem letzten Satz wird mir der Autor sympathisch, scheint auch einen eigenen Sinn für Humor zu besitzen.
Dann gibt es Gedanken, die sich mit der Umweltthematik beschäftigen, bei denen man dem Verfasser unweigerlich zustimmt, aber ein schlechtes Gewissen bekommt, weil man tagtäglich mit dem Auto zur Arbeit fährt. An diesen Stellen fragt sich der eine oder andere vielleicht, ob denn der Autor selbst so vorbildlich lebt, wie er es gerne von anderen hätte. Diese Frage kann ich nicht beantworten.
An diesen Stellen kam mir der Gedanke, ich könnte den Autor interviewen, wie ich das schon mit anderen getan habe, um Antworten auf meine Fragen zu bekommen, mich mit ihm auszutauschen und der Rezension mehr Gewicht verschaffen. Je weiter ich las, desto mehr wollte ich mich mit dem Verfasser unterhalten, denn es folgten Aussagen, die mir so provokant erschienen, dass ich unbedingt nachfragen wollte, ob er wirklich meinte, was er schrieb.
Immer, wenn ich dachte, hm, sooo sympathisch ist er mir vielleicht doch nicht, kam ein Text daher, der mich an dieser Meinung zweifeln ließ. So berichtet Herr Fleck über sein Verhältnis zu seiner Palme, mit der er sich ohne Worte versteht und die deshalb wächst und gedeiht. Ich bin der Meinung, wer sich mit Pflanzen versteht, kann kein schlechter Mensch sein.
Diese Meinung bestärkt sein Umgang mit weiteren Absagen, die er dem Leser ohne weitere Anmerkungen präsentiert, sie einfach für sich sprechen lässt.
Diese Absagen sind alle persönlich, alle verletzend und ich hatte fast immer den Eindruck, die Absagenden würden nicht einmal merken, wie verletzend sie sich verhielten. Die meisten Autoren sind enttäuscht, wenn sie Standardabsagen bekommen, aber sie würden sich darüber freuen, wenn man ihnen solche zumuten würde, wie man sie Herrn Fleck präsentiert hat.
Dirk C. Fleck kommt bei den Umweltthemen immer mit drastischen Vorschlägen daher, aber ich persönlich denke, viele seiner Ideen könnten tatsächlich Erfolg haben. Nur wird sie niemand umsetzen. Er spricht von einer Weltregierung, weil globale Probleme nur gelöst werden können, wenn alle mitspielen und alle an einem Strang ziehen. Wir Europäer laufen allerdings schon schreiend davon, wenn von einer Europaregierung die Sprache ist. Das sind die Momente, in denen mir der Autor wie ein einsamer Held vorkommt, der gegen Windmühlen kämpft.
Einige Gedanken lassen einen Mann erkennen, der leidet, der die Welt und manchmal sogar sich selbst als Fremdkörper empfindet, ein Mann, der sich schwach fühlt und nicht weiß, ob er stark sein möchte, weil er fürchtet, dann zu werden wie die, die er verachtet.
Manch eine Zukunftsvision hat sich in der Zwischenzeit bewahrheitet und wirkt daher nahezu prophetisch. Beispiel:
»57
Der Dichter ist der Not enthoben, erfinden zu müssen. Er findet vor. Das unterscheidet ihn von den Wortakrobaten, den Schriftstellern und Journalisten, die ihrer jeweiligen Gesellschaft die aberwitzigsten Geschichten auftischen, immer in der Hoffnung, dass man es ihnen lohnen möge. Diese Sprachklempner sind in der Regel feige und impotent, sie treiben ein hinterlistiges Spiel, sie verkaufen Scheiße für Gold. Man sollte ihnen das Wort verbieten. Zum Glück ist diese Spezies zum Aussterben verurteilt. Schon bald werden Computer die Dramaturgie übernehmen. Demnächst wird es ausreichen, ein paar standardisierte Verhaltensweisen von Gut und Böse ins System zu speichern, um eine hundertteilige Familiensaga nach dem Geschmack des Publikums zu basteln.«
Tatsächlich gibt es heute Programme, die behaupten, einen Besteller erkennen zu können, bevor er veröffentlicht wird und man arbeitet daran, eigenständige Texte von künstlichen Intelligenzen verfassen zu lassen.
Nach seinen Berichten über den Tabakverzicht lässt uns Herr Fleck auch an den Folgen seines Alkoholkonsums teilhaben und bei diesen Passagen fragte ich mich, wer von uns wohl so schonungslos offen und ehrlich berichtet hätte. Mal ganz ehrlich, würden wir darüber sprechen, wie wir uns erbrechen? Nicht nur dem besten Freund gegenüber, dem man solche Peinlichkeiten ja schon mal anvertrauen kann, sondern der kompletten Leserschaft. Und dann auch noch ungeschönt und ohne Angabe irgendwelcher Mitleid erregenden Ausreden? Ich bin mir nicht sicher …
Auch die Passagen, in denen es um seine Depressionen geht, sind schonungslos offen und lassen den Leser, der nicht von dieser Krankheit betroffen ist, ahnen, wie schlimm es an manchen Tagen sein muss, geben einen Eindruck vom Dunkel, das vorherrscht und einen zu erdrücken droht.
An diesen Stellen wollte ich trösten, versichern, dass es besser werden wird, Hoffnung spenden, aber das ging natürlich nicht. Denn das, was er hier beschreibt, liegt viele Jahre zurück. Allerdings lassen diese Gedanken erkennen, wie gut es dem Autor gelingt, auch die schwärzesten Gefühle von allen zu vermitteln.
Ich habe mich während der Lektüre auch oft gefragt, ob Dirk C. Fleck diese ganze Zeitspanne alleine durchleben musste, oder ob er jemanden an seiner Seite hatte. Gedanken wie dieser:
»61
Zeiten der Körperlichkeit ohne Liebe wechseln mit Zeiten der Liebe ohne Körperlichkeit.«
lassen vermuten, dass er zeitweise Partnerinnen hatte, aber ebenso gehe ich davon aus, dass diese Verhältnisse nicht von Dauer waren. Ich frage mich, ob der Autor eine Beziehung, die er sicherlich mit einem Teil seines Seins wollte, zulassen konnte oder wollte, oder ob er nicht unbewusst selbst mit daran gearbeitet hat, dass sie in die Brüche gingen.
Im Gedanken 73 lässt uns der Autor teilhaben an seinem Kampf mit der Schreibblockade. Die scheint mir der Auslöser für dieses Buch gewesen zu sein. Um sich nicht kampflos in sein Schicksal zu ergeben, begann er seine Gedanken zu notieren.
Andere Gedanken, wie zum Beispiel der zweite Teil von Nummer 74
»Das war die ARD-Sportschau. Machen Sie noch was mit dem Abend, gucken Sie noch ein bisschen Fernsehen. Wir wünschen alles Gute, tschüss!
09.01.1985«
lassen mich schmunzeln, denn sie belegen, wie unbedacht doch oft Personen, die es eigentlich besser wissen sollten, mit Sprache umgehen.
Es sind Gedanken wie dieser:
»86
In den McDonald’s-Filialen hängen Urkunden aus, die verdienten »Mitarbeitern des Monats« verliehen werden. Die Urkunden sind gerahmt und tragen die Lichtbilder der Auserwählten. In der Filiale nebenan hat Sabine Meyer das Rennen gemacht, die im QSS-Bereich arbeitet. Ich erkundigte mich bei einer Kollegin nach der Bedeutung des Kürzels. »Qualität, Service, Sauberkeit!«, antwortete sie und brach in schallendes Gelächter aus. Ihr Vorgesetzter sah aus, als dachte er gerade über die Todesstrafe nach.«
die mich immer weiter lesen ließen. Alltagssituationen, die einfach lustig sind.
Und solche Gedanken
»107
Am Boden zu sein heißt auch, Wurzeln schlagen zu können.«
weisen darauf hin, dass der Autor seinen Mut nicht verloren hat, sondern sich müht auch schlechten Momenten noch etwas Positives abzugewinnen.
Was die Passagen aus der Nazizeit betrifft, bin ich mir uneins, was sie in dem Buch zu suchen haben. Es könnte sein, sie sind zu der Zeit an die Öffentlichkeit gelangt, als dieses Buch entstand, aber das habe ich nicht überprüft. Auf jeden Fall sind auch sie sehr eindrücklich, ohne vom Autor kommentiert zu werden.
Gedanken, wie die Nummer 130, in denen der Autor uns äußerst liebevoll von einer Stubenfliege berichtet, die ihn zum Lachen bringt, machen den Mann sehr sympathisch.
Im Anhang berichtet Fleck über seine Erfahrungen als angehender Autor von Trivialliteratur und nimmt mich ein weiteres Mal für sich ein, indem er das Pseudonym Marc Bolan benutzte. Als T.-Rex- und Marc-Bolan-Fan sehe ich hier Gemeinsamkeiten und bin mir doch bewusst, dass Fleck den Namen ebenso gut gewählt haben könnte, weil er nichts von Marc Bolan hielt. Er weiht uns ein in das Geheimnis, dass ein Kurzkrimi, eine Lovestory oder ein Arztroman dieses Genres nie länger als sechs Schreibmaschinenseiten sein durfte. Auch das mag wieder einmal als Beweis dafür dienen, wie manche Menschen Sprache verbiegen. Der Autor legt diverse Ablehnungsschreiben bei. Die Standardabsagen sind zwar demotivierend, aber wenigstens nicht persönlich. Zum Ende kommt allerdings eine Absage, die mich erst laut auflachen ließ, aber dann blieb das Lachen im Hals stecken. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass solche Schreiben verschickt werden. Erst recht nicht, dass sich ein Unternehmen der Trivialliteratur erdreistet, so mit einem Journalisten umzugehen, der nachweisliche Erfolge gefeiert hatte.
Ich persönlich habe mich schon oft darüber aufgeregt, wie Lyriker und E-Literaten mit erhobener Nase meinten, über Autoren, die Unterhaltungsliteratur verfassten, urteilen zu dürfen und sie in den Dreck stießen, aber offensichtlich steht der Trivialliteratur-Betrieb diesem Verhalten in nichts nach.
Nachdem ich das Buch gelesen hatte, fragte ich beim Autor an, ob er Interesse an einem freundschaftlichen Streitgespräch habe. Ich wollte gerne Erklärungen von ihm, wollte wissen, wie er mit diesen Absagen umgegangen ist, wollte wissen, was er gegen Dicke hat, wollte wissen, wie aus dem »Autor, der es nie lernen wird« ein Erfolgsautor wurde. Ich hatte sogar vorab mit unserem gemeinsamen Verleger besprochen, dass der Verlag dieses Interview ggf. sogar veröffentlichen wollte.
Dirk C. Fleck teilte mir mit, dass er dieses Gespräch lieber nicht führen wollte. Im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar für diese Absage, denn dadurch konnte ich es mir nicht so einfach machen, ihm Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten, nein, ich musste mir selbst Gedanken machen, meine ursprünglich eher negative Beurteilung infrage stellen und das Buch noch einmal lesen, und zwar in Zusammenhang mit seinem Vorwort und dem, was ich zur Entstehung des Buches gelesen hatte.
Und plötzlich wurde mir bewusst, dass hier ein Mann seine ureigensten Gedanken ungeschönt zu Papier gebracht hatte und uns damit mit in seine Gefühlswelt genommen hatte. Ich fragte mich, ob ich nicht auch in schlechter Stimmung mal ungerecht wäre, was natürlich bejaht werden musste. Weiter fragte ich mich, ob ich diese ungerechten, unsympathischen Gedanken wohl auch zu Papier bringen würde. Auch diese Frage beantwortete ich mit Ja. Wenn ich Tagebuch führen würde, kämen dort auch solche Passagen vor. Aber würde ich diese Gedanken, die mich als unsympathischen Menschen dastehen ließen, auch veröffentlichen? Nie im Leben! Erst recht nicht, wenn sie dreißig Jahre später noch einmal verlegt würden und ich die Gelegenheit hätte, ein wenig zu glätten, zu feilen und zu versüßen. Fleck ist bei seinen ursprünglichen Aussagen und seiner schonungslosen Ehrlichkeit geblieben. Das rechne ich ihm hoch an.
Das Ganze »Roman« zu nennen ist in meinen Augen nicht korrekt. Aber da können die Meinungen auseinandergehen. Immerhin gibt es auch Briefromane und somit sollten auch »Gedankenromane« vielleicht eine Berechtigung haben. Den Duft der 80er habe ich allerdings nicht gerochen, dazu fehlten mir Musik und Mode, die sofort Bilder vor Augen erzeugen. Allerdings gehe ich davon aus, dass die 80er des Herrn Fleck sich vollständig von meinen 80ern unterschieden. Er machte eine existenzielle Krise durch, ich erlebte die beste Zeit meines Lebens. Insofern kann die Wahrnehmung dieser Zeit nur voneinander abweichen.
Abschließend muss ich sagen, dass ich mich selbst beim zweiten Mal lesen nicht gelangweilt habe.
Ob ich dieses Buch empfehle?
Ja, das tue ich, aber ich denke, der Leser sollte vorher wissen, auf was er sich einlässt und sich bewusst dafür entscheiden. Dann bekommt er ein außergewöhnliches Buch zu lesen, das von einem Autor verfasst wurde, der einem eigentlich nur sympathisch sein kann, gerade weil er so verdammt schonungslos ehrlich ist.
Von mir bekommt »La Triviata« vier von fünf Sternen.